Hauptsache gerettet?
Fast zwei Jahre lang haben wir uns intensiv im Auslandstierschutz engagiert und als Pflegestelle sowie in der Direktvermittlung über zwanzig Hunde auf den Weg zu ihrem persönlichen Happy End gebracht. Glückliche Hunde und deren Familien zu erleben sind jede Mühe wert und diese Aufgabe hat uns sehr erfüllt. Wir dürfen uns regelmäßig an den positiven Rückmeldungen freuen und haben zu den meisten Zwei- und Vierbeinern noch engen Kontakt.
Über verschiedene verhaltenstheoretische Fortbildungen und den Erwerb der gesetzlichen Erlaubnis zur Hundevermittlung hinaus haben wir uns in dieser Zeit intensiv mit den Bedürfnissen der Hunde und den Vorstellungen und Vorbehalten der Adoptionsfamilien in Deutschland befasst. Unser Fachwissen und unsere Erfahrungen mit den mittelbaren und unmittelbaren Katastrophen in dieser Zeit bringen uns leider vorläufig zu dem Ergebnis, dass unser eigener Professionalitätsanspruch offensichtlich von den meisten Vereinen und Ansprechpartnern die im (Auslands-)tierschutz aktiv sind nicht erfüllt wird.
Für uns macht die Verbringung von Tierschutzhunden nach Deutschland nur Sinn, wenn es hier relativ kurzfristig geeignete Adoptionsfamilien für die Hunde gibt und sichergestellt ist, dass die Hunde nicht gezielt im Ausland für die Tiervermittlung produziert werden (Stichwort: Welpenhandel Ostblock). Sofern es sich um Welpen und Junghunde handelt, gibt es gesetzliche Regelungen die aus gutem Grund (unzureichender Impfstatus, vorzeitige Wegnahme von der Mutter) die Ausfuhr von Welpen vor der sechszehnten Woche ausdrücklich untersagen. Hinzu kommen durch den Export verursachte verhaltenstheoretische Probleme und Traumata (die genetisch fixierte Ortsprägung in den ersten Lebensmonaten wird ignoriert!) und unzureichende Möglichkeiten, die individuelle Persönlichkeit und die spätere Entwicklung des Welpen zu diesem Zeitpunkt richtig einzuschätzen. Kurzum: Ein viel zu junger und unzureichend sozialisierter Welpe unbekannter Rassemixe und Entwicklung wird irgendeinem Interessenten vermittelt der ihn zum Auswahlzeitpunkt den Bildern nach zu urteilen "süß" findet. Aufgrund ihrer meist ungewissen Herkunft ist die Sterblichkeitsrate von Welpen in den ersten Monaten besonders hoch. Wir raten Familien die sich für einen Auslandswelpen entscheiden dringend dazu, sich rechtzeitig eine passende Erklärung für die Kinder zu überlegen, wenn der süße Babyhund eines Morgens plötzlich tot im Wohnzimmer liegt.
Auch der Vermittlungsdruck für erwachsene Hunde und deren Verbringung nach Deutschland ist hoch weil sie im Ausland unstrittig zum großen Teil von akuter Verwahrlosung, Erkrankung oder einem grausamen Tod bedroht sind. Dennoch sollte das kein hinreichender Grund sein, diese Tiere relativ wahllos und ohne weitere Prüfung, notwendige Hintergrundinformationen und medizinische Checks an beliebige Interessenten oder Pflegestellen zu verteilen. In sehr vielen Fällen sind die Familien mit dem Hund überfordert weil er nicht die gewünschte Dankbarkeit und Anhänglichkeit zeigt, nicht stubenrein oder krank ist, nicht gehorcht und nicht alleine bleiben kann. Die in Fachkreisen umstrittene Frühkastration der Hunde führt zu zusätzlichen Schwierigkeiten über die aber niemand spricht weil das Verhindern einer weiteren Vermehrung absolute Priorität vor Einzelschicksalen hat. Eine nicht zu vernachlässigende Anzahl dieser vierbeinigen Zwangsmigranten verschwindet in den ersten Tagen bereits spurlos im nächsten Wald, landet bestenfalls in einer Pension oder blockiert schon bald einen Platz im deutschen Tierheim. Im schlimmsten Fall droht der Rücktransport ins Ursprungsland, diese Androhung ist auch beliebtes Druckmittel gegenüber den Adoptanten in dem Fall, dass sie den Hund wie im Schutzvertrag seitens des Vereins oft vereinbart wird, zurückgeben möchten. Chance gehabt, Chance vertan aber den Versuch war es wert. Oder? Nur wenige Vereine verfügen über Notfallpflegestellen geschweige denn einen passenden B-Plan. Es wird einfach vermittelt, was das Ursprungsland so hergibt.
Die einzig sinnvolle und legitime Lösung ist unser Auffassung nach das Verbringen ausgewählter, medizinisch versorgter und "gut vermittelbarer" Hunde auf deutsche Pflegestellen die das Tier fachlich kompetent auf ihr neues Leben vorbereiten und Interessenten dann eine ausreichende Auskunft über sein Wesen geben können. Davon gibt es allerdings nur wenige, denn wer einerseits über die Zeit, das Geld und andererseits über die fachliche Kompetenz verfügt den Hund in der ersten Zeit professionell anzuleiten und ihn nicht ABHAUEN zu lassen, ist meistens bereits als Hundetrainer oder -pensionsinhaber gegen Bezahlung am Markt aktiv. Wir haben den Eindruck, dass viele ehrenamtlich aktive Pflegestellen MIT entsprechender Fachkenntnis zunehmend von den Machenschaften organisierter Vereine enttäuscht sind. Sobald die Fehlentwicklungen und -entscheidungen im Auslandstierschutz offen kritisiert werden, herrscht große Aufregung auf höchster Ebene und die Kritiker werden in vielfältiger Art und Weise von den Vereinsvorständen abgestraft. An erster Stelle ist man mit dem Vorwurf konfrontiert, man würde nun "die anderen Hunde hängenlassen", nur weil es zu dem "ein oder anderen Problemfall" gekommen ist. Ob Entlaufen, Rücktransport, Tierheim oder Einschläfern - die Summe der tierischen und damit verbundenen menschlichen Tragödien ist für uns nicht hinnehmbar. Das KANN UND DARF NICHT der Tierschutzalltag sein und es soll nicht weiter unsere Realität werden.
Wir werden uns nun wieder deutschen Initiativen und Notfällen widmen ohne dem Auslandtierschutz insgesamt ablehnend gegenüberzustehen. Mittlerweile gibt es so viele Auslandshunde in deutschen Tierheimen die ursprünglich von irgendeinem Verein geholt wurden, dass wir auf diesem Umweg früher oder später ja doch wieder einen "Italiener" oder "Rumänien" bei uns aufnehmen werden. In den letzten Monaten haben wir viele wunderbare Menschen getroffen die unsere Sichtweise teilen, die unsere Hunde adoptiert haben und mit denen wir auch weiter in Kontakt bleiben werden. Natürlich hat JEDER Hund das Recht auf ein schönes Zuhause solange das mit viel Sachverstand und Überlegung begleitet wird und dann FÜR IMMER ist.
Julia Sieverding, März 2014